Kapitel I. Der Satz
§ 211. Die menschliche Rede gliedert sich in Sätze. Der Satz drückt einen mehr oder weniger abgeschlossenen Gedanken aus und bildet inhaltlich, lautlich und grammatikalisch ein zusammenhängendes Ganzes. Der Satz drückt auch das Verhalten des Redenden zur Realität der Aussage aus (Modalität).
Als wichtigste Mitteilungseinheit der menschlichen Rede und Mittel des Gedankenaustausches unterscheidet sich der Satz von den anderen Sprachgebilden (Wort, Wortgruppe) durch das ihm eigene prädikative Verhältnis. Unter dem prädikativen Verhältnis ist ein syntaktisches Verhältnis zu verstehen, welches einem jeden Satz zugrunde liegt und die Beziehung der im Satz genannten Begriffe zur Wirklichkeit sowie die gegenseitigen Beziehungen der Satzkomponenten zueinander herstellt.
Im zweigliedrigen Satz, der beide Hauptsatzglieder (Subjekt und Prädikat) enthält, tritt das prädikative Verhältnis als Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat auf. So wird in den Sätzen Der Knabe liest, und Das Wasser war. kalt, dem Subjekt ein zeitlich bedingtes Merkmal beigegeben. Im ersten Satz ist es eine Handlung, die in der Gegenwart geschieht, im zweiten eine qualitative Eigenschaft, die mit der Vergangenheit in Verbindung gebracht wird.
In den eingliedrigen Sätzen Feuer! Stille. wird das Dasein, die Existenz einer Erscheinung, eines Dinges in der realen Wirklichkeit festgestellt. Das prädikative Verhältnis tritt hier in der Beziehung der Begriffe Feuer, Stille zum allgemeinen Begriff des Seins zum Ausdruck. Dies äußert sich im Satzton, der dem Satz (nicht aber dem Wort) eigen ist.
Das prädikative Verhältnis darf nicht mit der Modalität des Satzes verwechselt werden. Während durch das prädikative Verhältnis die Beziehung eines Begriffs zur Wirklichkeit hergestellt wird, bezeichnet die Modalität eine Einschätzung der Realität der Aussage. Vgl.: Er kommt. Wäre er gekommen! In beiden Sätzen kommt ein und dasselbe prädikative Verhältnis zum Ausdruck: dem Subjekt wird eine Handlung zugeschrieben. Jedoch unterscheiden sie sich durch ihre Modalität wesentlich voneinander: im ersten Satz wird die Handlung als Tatsache hingestellt, im zweiten als etwas Irreales, bloß Gewünschtes.
Zum Unterschied vom prädikativen Verhältnis, das nur dem Satz zukommt, ist die Modalität nicht nur dem Satz eigen, sondern zuweilen auch Wortgruppen. Vgl.:
Euch scheint wohl auch, daß es nicht wahr sein kann? sagte Karl einmal. (H. Mann)
Unter all diesen seltsamen oder wohl gar unheimlichen Dingen hing... das unschuldige Bildnis eines toten Kindes... (Th. Storm)
Im ersten Satz bezieht sich das Modalwort wohl auf den Gesamtinhalt des Satzes, im zweiten auf ein Attribut.
Der Satz ist ein sehr kompliziertes Ganzes. Er kann von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden. Das sind z. B. der Satzbau, das Ziel der Aussage, die Art des Subjekts, die Stellungnahme des Sprechenden (Modalität) usw.
Einteilung der Sätze nach ihrem Bau
§ 212. Ein Satz enthält in der Regel das Subjekt und das Prädikat. Das sind seine beiden Hauptglieder. Das Subjekt und das Prädikat sind miteinander aufs engste verbunden, das kommt auch in ihrer grammatischen Form zum Ausdruck, nämlich in der Übereinstimmung in Person und Zahl (Kongruenz). Je nachdem, ob ein Satz beide Hauptsatzglieder enthält oder nicht, unterscheidet man zweigliedrige und eingliedrige Sätze. Sätze, die beide Hauptglieder enthalten, nennt man zweigliedrige Sätze:
Die Türe wurde geschlossen. Es war ganz still. (F. C. Weiskopf)
§ 213. Sätze, die nur ein Hauptglied (mit oder ohne Nebenglieder) enthalten, nennt man eingliedrige Sätze: Stille. Komm!
Was für eine Stadt! Diese vielen herrlichen Türme! Diese großen Handelshäuser! Dieser gewaltige Hafen! Diese Ozeanriesen! (W. Bredel)
Zuweilen fällt es schwer zu bestimmen, welches Hauptglied in dem gegebenen eingliedrigen Satz vorkommt; so z. B. in dem Satz: Feuer!
Man unterscheidet verschiedene Arten von eingliedrigen Sätzen:
1. nominale (substantivische). Dazu gehören:
a) Sätze, die aus einem Substantiv im Nominativ (mit oder ohne Bestimmungswörter) bestehen und die Erscheinungen als existierend darstellen;
Ein Spätsommerabend Ende August. Ein warmer, wunderbarer Abend am Hafen. (F. Wolf)
Liebliche Kühle und träumerisches Quellengemurmel. (H. Heine)
b) Aufforderungssätze mit einem Substantiv (mit oder ohne Bestimmungswörter);
Kognak! schrie der Gast um so wilder. (H. Fallada)
2. verbale. Dazu gehören:
a) Aufforderungssätze mit den Imperativformen, die der 2. Person Singular bzw. Plural entsprechen, sowie mit dem Infinitiv oder Partizip II;
Macht die Tür zu, sagte jemand. (E. M. Remarque)
Eine Patrouille kam heran. Weitergehen! Nicht stehenbleiben. Los, weitergehen! Vorwärts! (E. M. Remarque)
Sie sind wohl des Teufels? schrie er. Stillgestanden! kommandierte er erneut... (B. Kellermann)
b) Sätze mit dem unabhängigen Infinitiv (Infinitivsätze), die einen Wunsch ausdrücken;
Nicht schwach werden... Nur nicht sich selber aufgeben... Ich muß durchkommen... Muß! Muß! (W. Bredel)
c) unpersönliche Sätze:
Ein wenig allerdings graute ihr vor dem langen Weg... (B. Uhse)
An der Tür wurde geklopft. (B. Kellermann)
3. Sätze, die aus Modalwörtern oder präpositionalen Wendungen mit modaler Bedeutung bestehen;
Ja, sagte Elisabeth. Und ich möchte mich gerne waschen, wenn das möglich ist. Sicher. Frau Witte führte Elisabeth ins Haus... (E. M. Remarque)
4. ungegliederte Sätze, die aus einer Interjektion bestehen;
Pfui! sagte Albert, indem er mir die Pistole herabzog, was soll das? (J. W. Goethe)
5. Sätze, die Grußformeln, Danksagungen, Entschuldigungen, Äußerungen des Bedauerns, der Genugtuung usw. enthalten: Guten Tag! Willkommen! Danke. Bitte. Verzeihung. Schade. Gut. Abgemacht. Vorsicht! usw.
A-ah! Guten Abend, junger Freund! Er streckte Walter seine langfingrige Hand hin. (W. Bredel)
Guten Morgen, Johannes, sagte sie, hier ist dein Frühstück. Danke, sagte Herr Friedemann. (Th. Mann)
Langsam, die Worte suchend, doch mit Bestimmtheit, sprach er Proell von seiner Vision. Nicht schlecht, nicht schlecht, sagte Proell. (L. Feuchtwanger)
Ja, ich packe jetzt und gehe, sagte sie. Und er, immer den Löffel in der Hand, sagte nochmals: Schade. Sehr schade. (L. Feuchtwanger)
Allerhand, murmelt der Gefreite Lebehde. (A. Zweig)
Einen Satz, der nur das Subjekt und das Prädikat oder eines der Hauptglieder enthält, nennt man einen unerweiterten (nackten, unbekleideten) Satz.
Sie wachten auf. Der Keller zitterte. Die Ohren dröhnten. (E. M. Remarque)
Solche Sätze kommen verhältnismäßig selten vor. Meist haben die Hauptglieder nähere Bestimmungen bei sich, von denen sie ergänzt, erweitert werden. Das sind die Nebenglieder (Attribut, Objekt, Adverbialbestimmung). Sätze, die Nebenglieder enthalten, heißen erweiterte (bekleidete) Sätze. Das Subjekt bildet mit seinen näheren Bestimmungen die Subjektgruppe, das Prädikat mit seinen näheren Bestimmungen die Prädikatgruppe.
Zu Beginn des Sommers befand ich mich irgendwo im Gebirge... (H. Mann)
Seit dem Tode ihres Mannes teilte Frau Heisler die Wohnung mit der Familie des Zweitältesten Sohnes. (A. Seghers)
Ein klarer, leuchtendheller Tag. (W. Bredel)
§ 214. Es kommt vor, daß ein Satz in seinem Bau Lücken aufweist. Das sind Sätze, in denen entweder das Prädikat nicht in allen seinen Bestandteilen vertreten ist oder keines der Hauptglieder genannt wird. Solche Sätze nennt man unvollständige Sätze (im Vergleich zu ähnlich gebauten Sätzen, die beide Hauptglieder in ihrem vollen Umfang enthalten). Zu den unvollständigen Sätzen gehören:
1. Sätze, die als Bestandteil Deines Dialogs (Zwiegesprächs) auftreten. Die fehlenden Satzglieder bzw. deren Bestandteile lassen sich dabei leicht aus dem Gesamtinhalt, aus der Sprechsituation ergänzen. Es ist auch meist klar, welche syntaktische Funktion die im Satz enthaltenen Satzglieder (bzw. das Satzglied) ausüben;
Ich bekomme Urlaub, sagte sie atemlos. Schon wieder. Wie lange? Drei Tage. Die drei letzten Tage. (E. M. Remarque)
Was studieren Sie denn, junger Mann? fragte sie. Chemie. Ach so, Physik? Nein, Chemie. Ach so. (H. Mann)
Fehlt in einem unvollständigen Satz das Subjekt, so ist es stets ein Pronomen (Personal- oder Demonstrativpronomen):
Lebehde, ruft er, Mensch, Lebehde! Wie, um Gottes willen, kommst du in diese Bruchbude? Wirst schon hören, Kamrad. (A. Zweig)
Ich bin Friseur. Habe tadellose Seife. Noch aus Frankreich. (E. M. Remarque)
Blühe, deutsches Florenz, mit deinen Schätzen der Kunstwelt... Na, Wallner, wer hat das gesagt? Könnte Goethe gewesen sein, meinte Wallner zögernd. (M. Zimmering)
Anmerkung. Solche unvollständigen Sätze werden oft als elliptische Sätze bezeichnet.
2. Sätze, in denen die Prädikatgruppe nicht in allen ihren Bestandteilen vertreten ist: es fehlt das Prädikat selbst oder ein Teil des Prädikats. Solche Sätze kommen in einer Beschreibung vor oder auch in emotional gefärbter Rede;
Keiner der Jungen trug lange Hosen. Keiner einen steifen Kragen. (W. Bredel)
Viele waren... nur in Hemd und Hose gekleidet. Andere wieder trugen der Mode des Tages folgend Carmagnolen und rote Jakobinermützen. Wieder andere derbe Handwerkerwesten und um den Kopf bunte Tücher. (W. Bredel)
Angst beschlich ihn. Wie war das zu verstehen? Tagsüber Aufstand und abends solche Stille? (W. Bredel)
Ich dich ehren? Wofür? (J. W. Goethe)
Dr. Eupert nickte, rieb sich die Hände und sagte: Richtig! Sehr gut dieser Vorschlag! Sehr gut! (W. Bredel)
3. Sätze, die in ihrer Form erstarrt sind. Dem Inhalt nach sind es Sprichwörter: Ende gut alles gut. Ein Mann ein Wort. Träume Schäume. Gesagt getan;
4. Sätze, die als Bestandteil eines zusammengesetzten Satzes auftreten, namentlich Nebensätze, in denen das finite Verb nicht genannt ist.
Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. (K. Marx/F. Engels)
Wie tief das Goethesche Wort ins Leben des Volkes gedrungen, bemerkte ich auch hier. (H. Heine)
Ein Kaninchen sprang an ihm vorbei, er hinterher. (H. Mann)
§ 215. Der deutsche Satz weist zwei wichtige Eigenschaften auf: 1) die Zweigliedrigkeit und 2) den verbalen Charakter.
Die Zweigliedrigkeit ist dem Deutschen m noch stärkerem Maße eigen als dem Russischen; so gibt es im Deutschen zweigliedrige Satze, denen im Russischen eingliedrige entsprechen, z. B.: Es ist spät. Поздно; Man sagt. Говорят, usw. Vgl.:
Gestern war es um diese Zeit noch voller Tag; nun dämmert es schon. (Th. Mann) |
Вчера в это время день был еще в разгаре. А сейчас уже смеркается. |
Zu Hause, in meiner Vaterstadt, wollte man mich sogar verhaften... (Th. Mann) |
Дома, в моем родном городе, меня чуть было не арестовали... |
Der verbale Charakter des deutschen Satzes äußert sich darin, daß das Prädikat (auch das nominale) stets ein finites Verb einschließt (s. § 128). Dadurch unterscheidet sich der deutsche Satz wesentlich von dem russischen, der oft ohne finites Verb gebildet wird (jedoch nur zum Ausdruck der Gegenwart), vgl.: Was soll ich tun? Что мне делать? Ich muß gehen. Мне нужно идти. Er ist Student. Он студент. Er ist stark. Он сильный.
Einteilung der Sätze nach dem Ziel der Aussage
§ 216. Nach dem Ziel der Aussage unterscheidet man Aussagesätze, Fragesätze und Aufforderungssätze.
Die Aussagesätze enthalten eine Feststellung, eine Mitteilung, eine Äußerung. Sie werden in erzählendem oder behauptendem Ton (mit steigend-fallendem Satzton) gesprochen und schriftlich durch einen Punkt abgeschlossen.
Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben da sechzehntausend Menschen, und viele hunderttausend Menschen liegen noch außerdem da begraben. (H. Heine)
Die Rollen könnten auch umgekehrt verteilt sein. (H. Mann)
§ 217. Durch den Fragesatz wird in der Regel eine Antwort gefordert. Die Fragesätze zerfallen in Ergänzungsfragen (Wortfragen) und Entscheidungsfragen (Satzfragen).
In Ergänzungsfragen wird nach irgendeinem Satzglied gefragt, das in der Antwort enthalten sein soll und somit eine Ergänzung zur Frage bildet. Die Ergänzungsfrage beginnt mit einem Fragewort (Pronomen, Pronominaladverb, Adverb), welches oft hervorgehoben wird.
Fritz überlegte eine Weile. In welchem Krankenhaus arbeitest du? Thomas nannte den Namen. (W. Joho)
Kreß sagte: Wovon sprichst du jetzt eigentlich? Von uns beiden. (A. Seghers)
Georg fragte rasch: Wie geht es meiner Mutter? Elli rief: Gut. (A. Seghers).
Die Entscheidungsfragen verlangen eine Entscheidung zwischen einer bejahenden und einer verneinenden Antwort (es kann auch ein einfaches ja oder nein sein); sie beginnen mit dem finiten Verb und haben einen fallend-steigenden Satzton.
Und wie ist es? Fahren wir morgen mit oder bleiben wir hier? Möchtest du mitfahren? Ach ja, ich möchte schon. (W. Bredel)
Es gibt Fragesätze, die sich ihrer Wortstellung nach durch nichts von den Aussagesätzen unterscheiden. Auf solch eine Frage wird meist eine bestätigende Antwort erwartet, daher die Bezeichnung Bestätigungsfrage.
Lippe: Jener Dr. Feld war gestern im Laden deines Vaters?
Gerd: Jawohl. (F. Wolf)
Und den beiden jungen Eheleuten geht's gut? fragte er noch einmal. Nun ja, jungen Eheleuten gehts doch gewöhnlich gut, erwiderte Carl Brenten ausweichend. (W. Bredel)
Sie haben das Luftschiff wohl in Hamburg gesehen, nicht wahr?... (W. Bredel)
Eine besondere Art von Fragesätzen stellen die sogenannten rhetorischen Fragen dar. Diese Fragen werden gebraucht, um die Rede lebhafter zu gestalten, um den Zuhörer bzw. Leser auf eine bestimmte Tatsache aufmerksam zu machen. Werden diese Fragen beantwortet, so tut es der Redende bzw. Schreibende selbst.
Die Arbeitskraft ist also eine Ware, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital verkauft. Warum verkauft er sie? Um zu leben. (K. Marx)
Wir aber, was haben wir heute? Nichts, reine nichts! (E. Claudius)
§ 218. Die Aufforderungssätze (Befehlssätze) enthalten Befehle, Aufforderungen, Anordnungen, Ermahnungen, Verbote, Warnungen, Bitten usw. In den Aufforderungssätzen steht das Prädikat meist im Imperativ, das finite Verb nimmt dann im Satz die Anfangsstellung ein. Der Satzton ist ein fallender, die Wortbetonungen werden jedoch anders verteilt als im Aussagesatz.
Zeigen Sie mal Ihre Papiere; öffnen Sie mal Ihre Aktentasche! (F. Erpenbeck)
Werde nur nicht böse, Frank! lachte Wolfgang. (B. Kellermann)
Macht die Tür zu, sagte jemand. (E. M. Remarque)
Michael sagte: Gehen wir. (A. Seghers)
Die Aufforderungssätze mit dem Prädikat im Imperativ sind teils zweigliedrig, teils eingliedrig (vgl. die Beispiele oben). Zuweilen tritt im eingliedrigen Satz zum Imperativ ein nachgestelltes Personalpronomen, und der Satz wird zum zweigliedrigen:
Leichner stößt Sif an: Fahr zu mir nach Hause! Und zu Hans: Komm du mit den ändern Genossen nach. (F. Erpenbeck)
In Aufforderungssätzen, die ein Kommando, einen nachdrücklichen Befehl, ein Verbot oder eine Warnung enthalten, wird oft der Infinitiv oder das Partizip II gebraucht; der Infinitiv und das Partizip II stehen dann am Schluß des Satzes.
Aufhalten! schrie er. Die Maschine aufhalten! Das Telegramm der nationalen Männer muß noch hinein!... (H. Mann)
Eine Patrouille kam heran. Weitergehen! Nicht stehenbleiben. Los, weitergehen! Vorwärts! (E. M. Remarque)
Vorher aber kommandiert Oberleutnant Winfried...: Kompanie, stillgestanden! (A. Zweig)
Zuweilen haben Aufforderungssätze die Form von Aussagesätzen. Das Prädikat steht dann meist im Präsens oder Futur I Indikativ.
Nun leg dich schon endlich hin, Pauline... ... So, Pauline, jetzt bleibst du aber liegen und schläfst! (W. Bredel)
Ihr werdet euch jetzt hinlegen und zu schlafen versuchen, während Vater den alten Hinze holt, befahl nach der Mahlzeit die weinerliche Stimme vom Bett her. (F. Erpenbeck)
Häufig werden in solchen Aufforderungssätzen auch die Modalverben, namentlich sollen (im Indikativ und Konjunktiv) gebraucht.
Sie sollen mir folgen, und zwar möglichst unauffällig! (W. Bredel)
Sie sollten nicht mehr tanzen, Fräulein, sagte er sanft. (Th. Mann)
Grischa, schloß sie..., du mußt noch einmal fliehn. (A. Zweig)
Aufforderungssätze können auch die Form von Nebensätzen, nämlich von daß-Sätzen, haben.
Daß es mir aber keine Streitereien mit der Mathilde gibt ! (H. Fallada)
Friedrich ist mir auch recht lieb, aber daß du mir ja nicht den Reinhold verachtest. (E. T. A. Hoffmann)
Eine Aufforderung, eine Bitte, ein Befehl usw. können auch durch Sätze ausgedrückt werden, die kein Verb enthalten. In solchen Sätzen spielt die verstärkte Betonung und der Satzton eine entscheidende Rolle.
Er deutete befehlend nach links hinüber: Schneller! rief er. (F. Erpenbeck)
Der nächste, bitte! (F. Erpenbeck)
Vorwärts, vorwärts! rufts vom Hofe. (A. Zweig)
Gretchen: Nachbarin! Euer Fläschchen! (J. W. Goethe)
Was ist denn nur passiert? fragte Agnes. Pst! Frau Minna zitterte und lauschte. (W. Bredel)
Anmerkung. Die besprochenen drei Satzarten können nicht immer scharf voneinander abgegrenzt werden. So kann z. B. ein Aufforderungssatz die Form eines Aussagesatzes haben (vgl. § 216). Ein Fragesatz enthält zuweilen keine Frage, denn er ist selbst die Antwort auf eine Frage, ist eine Gegenfrage, die die Antwort einschließt.
Und Sie irren sich nicht in der Person? Wie soll ich? (W. Bredel)
§ 219. Die Ausrufesätze. Die Aussage-, Frage- und Aufforderungssätze können entweder in einem ruhigen Tonfall gesprochen werden oder emotional, mit starker persönlicher Anteilnahme. Im letzteren Fall nennt man sie Ausrufesätze; sie werden in ausrufendem Ton gesprochen. Häufig treten zu diesen Sätzen Interjektionen, oft auch enthalten sie Partikeln.
Ach, unerträglich war dieses Leben! (B. Kellermann)
Wie kann man nur so schrecklich neugierig sein?! scheuchte mich Christine aus der Küche hinaus, da ich in alle Töpfe guckte... (J. R. Becher)
In Ausrufesätzen kann das finite Verb an der ersten, zweiten oder letzten Stelle stehen. Somit haben die Ausrufesätze bald die Form von Fragesätzen, ohne aber eine Frage zu enthalten, bald die von Nebensätzen, die aber durchaus selbständig sind.
Ach, tut das Laufen gut. (W. Bredel)
Jetzt muß es auch wieder Äpfel geben, sieh da, es ist Herbst! Gibt es etwas Schöneres auf der Welt? (A. Seghers)
Aber wie viele gute Menschen hatte er zurücklassen müssen...! (W. Bredel)
Furchtbar war dieser Winter gewesen, über alle Maßen furchtbar! (B. Kellermann)
Daß ich daran nicht selber gedacht habt (L. Frank)
Wie müde und abgehetzt er sich fühlte, und wie doch alles in ihm in qualvollem Aufruhr war! (Th. Mann)
Einteilung der Sätze nach der Art des Subjekts
§ 220. Nach der Art des Subjekts unterscheidet man persönliche, unbestimmt-persönliche, verallgemeinernd-persönliche und unpersönliche Sätze.
In den persönlichen Sätzen kann das Subjekt durch eine beliebige Wortart (mit Ausnahme einiger Pronomen) oder eine Wortgruppe ausgedrückt werden.
Die rote Dämmerung breitete sich immer mehr aus. Alles wurde unwirklich in dem sonderbaren Licht. Sieh nur den Baum dort, sagte Elisabeth plötzlich. Er blüht. Graeber blickte hin. Der Baum war durch eine Bombe fast aus der Erde gerissen worden. Ein Teil der Wurzeln hing lose in der Luft, der Stamm war zerbrochen, und einige Äste waren abgerissen; aber er war tatsächlich voll weißer, rötlich beschienener Blüten. (E. M. Remarque)
...nun tat ihm leid, sein Besitztum zurücklassen zu müssen. (W. Bredel)
§ 221. In den unbestimmt-persönlichen Sätzen wird das Subjekt durch das unbestimmt-persönliche Pronomen man ausgedrückt (vgl. § 108).
Man fragte Hans zu Hause, wo er so lange geblieben war. (A. Seghers)
Wegen der Verdunklung sah man nirgends ein Licht. (H. Fallada)
Zuweilen kommt in den unbestimmt-persönlichen Sätzen auch das Pronomen sie (3. P. Pl.) als, Subjekt vor.
Sie wird mit unbestimmt-persönlicher Bedeutung meist in der Umgangssprache gebraucht, wenn die gemeinten Personen nicht genauer bezeichnet werden sollen; es handelt sich dabei oft um Vertreter der Obrigkeit, der Behörden, der Staatsmacht, denen gegenüber der Sprecher eine ablehnende oder auch abschätzige Haltung annimmt.
Nun war Marion außer sich vor Freude. Wo warst du, Papa, was haben sie mit dir gemacht? forschte sie unter Tränen. (B. Kellermann)
Warum hat sich denn die Rosenthal bei Ihnen versteckt? Weil sie Angst gehabt hat so allein in ihrer Wohnung. Die hat über uns gewohnt. Der haben sie den Mann weggeholt. Da hat sie Angst gehabt, Herr Kommissar... (H. Fallada)
Er sagte: Ich habe schon alles erzählt bekommen. Ich habe zuerst gedacht, sie hätten ihn für Gott weiß was geschnappt. Da haben sich wohl die Nazi vor Stolz gebläht... (A. Seghers)
§ 222. In den verallgemeinernd-persönlichen Sätzen wird das Subjekt durch das unbestimmt-persönliche Pronomen man oder die Personalpronomen wir und du ausgedrückt. Solche Sätze enthalten oft Sentenzen, sprichwortartige Weisheiten, Äußerungen gemeingültigen Charakters.
Man erinnert sich immer gut an Dinge, die man liebt, erwiderte Christa. (B. Kellermann)
Wie man in den Wald ruft, so hallt es zurück. (Sprichwort)
Da ist gleich vor dem Orte ein Brunnen, ein Brunnen, an den ich gebannt bin wie Melusine mit ihren Schwestern. Du gehst einen kleinen Hügel hinunter und findest dich vor einem Gewölbe, da wohl zwanzig Stufen hinabgehen... (J. W. Goethe)
Er behauptete immer: wir fürchten etwas, weil wir es durch Vernunftschlüsse für furchtbar erkennen. (H. Heine)
Verallgemeinernd-persönliche Bedeutung haben auch Sätze mit man, in denen das Prädikat im Präsens Konjunktiv steht oder ein Modalverb als Bestandteil aufweist.
Man mache die Probe mit den angeführten Beispielen. (H. Paul)
Sehen Sie, man muß den Dingen stets auf den Grund gehen, Frau Ruoff! (F. Wolf)
Aber, Greta, schämst du dich nicht? Erzähl es bloß niemand. Was soll man von dir denken? (W. Bredel)
Anmerkung. Die verallgemeinernd-persönlichen Sätze mit man berühren sich häufig mit unbestimmt-persönlichen Sätzen. Das erklärt sich vor allem aus der gleichen grammatischen Form der beiden Satzarten.
§ 223. In den unpersönlichen Sätzen wird das Subjekt durch das unpersönliche Pronomen es ausgedrückt (vgl. § 96).
Das unpersönliche Pronomen es hat keinen semantischen Inhalt, es erfüllt eine grammatische Funktion, indem es einen Satz ohne eigentlichen Träger des im Prädikat ausgedrückten Merkmals zum üblichen zweigliedrigen Satz gestaltet. Die unpersönlichen Sätze können auch eingliedrig sein und enthalten dann kein Subjekt.
Die unpersönlichen Sätze mit es bezeichnen:
1. Naturerscheinungen (als Vorgang, als Ruhezustand sowie als Übergang zu einem solchen);
Es war noch sehr früh, als ich Göttingen verließ... (H. Heine)
Das Schiff war nicht mehr sichtbar, Es dunkelte gar zu sehr. (H. Heine)
2. das seelische oder körperliche Befinden des Menschen, dessen mehr oder weniger unbewußten Drang nach etwas.
Ihm war es schwül geworden... (H. Mann)
Den Alten riß es hoch; mit flatterndem Schlafrock, erregt, lief er im Zimmer hin und her... (L. Feuchtwanger)
Es litt ihn nicht lange in der munteren Stadt. (Th. Mann)
Das unpersönliche es steht bei Verben, die Handlungen bezeichnen, welche durch das Gehör wahrgenommen werden: rufen, schreien, klopfen, gellen, klingen u. a.
Es rief aus dem Nachbargarten: Ilse. (A. Seghers)
Kluge! rief es hinter ihm, aber nicht befehlend. Herr Kluge, ach bitte! (H. Fallada)
Gegen zwei Uhr nachts klopfte es bei Brentens an der Wohnungstür. (W. Bredel)
In der gleichen Sekunde war der Tumult, der Aufruhr losgebrochen. Aus zwölfhundert Zellen hatte es geschrien, gebrüllt, gejammert, gesungen, geheult: Kohldampf! Hunger! Kohldampf! Hunger! (H. Fallada)
Manche unpersönlichen Sätze enthalten stehende Wendungen mit dem Pronomen es: es gibt, es handelt sich (um etwas), es kommt an (auf etwas), es fehlt (an etwas) u. a.
Es gibt Kaffee, sagte der Unteroffizier. (E. M. Remarque)
Es fehlte an Brot, es fehlte an Wasser, es fehlte an Licht, es fehlte an allem. (W. Bredel)
Gut schauspielern, darauf kommt es jetzt an. (W. Bredel)
Es handelte sich um ein großes und wohlausgestattetes Puppentheater... (Th. Mann)
Die unpersönlichen eingliedrigen Sätze bezeichnen:
1. das seelische oder körperliche Befinden des Menschen;
...und die Vögel sangen gar freudig, und auch mir wurde allmählich wieder frisch und freudig zumute. (H. Heine)
Ein wenig allerdings graute ihr vor dem langen Weg... (B. Uhse)
2. einen Vorgang, dessen Urheber nicht näher bekannt ist oder nicht genannt wird (das unpersönliche Passiv).
Nebenan wurde geflüstert. (A. Seghers)
...über jeden einzelnen Punkt der Ansprache wurde erregt debattiert. (B. Kellermann)
Die unpersönlichen eingliedrigen Sätze können mit der Partikel es beginnen, wenn kein Satzglied die Anfangsstellung einnimmt.
Es wurde ihm schwindlig... (A. Seghers)
Es wurde nicht mehr geschossen. (W. Bredel)
Die Modalität des Satzes
§ 224. Nach der Stellungnahme des Sprechenden zur Aussage (Modalität des Satzes) unterscheidet man zwei Satzarten: 1) Sätze, in denen etwas als Tatsache hingestellt wird, und 2) Sätze, in denen etwas als wünschenswert, irreal, möglich (bzw. unmöglich) usw. bezeichnet wird. Die wichtigsten Mittel, die Modalität des Satzes auszudrücken, sind die Modi, einige Zeitformen (das Futur I und II), die Modalverben und einige andere Verben mit modaler Bedeutung sowie Modalwörter.
Für die Sätze, in denen etwas als Tatsache hingestellt wird, ist der Indikativ kennzeichnend.
Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz. (K. Marx/F. Engels)
Drei Tage später kam Johannes Friedemann um zwölf Uhr mittags von seinem regelmäßigen Spaziergange nach Hause. (Th. Mann)
§ 225. Die Modalverben bezeichnen in Verbindung mit dem Infinitiv I in der Regel nicht die Stellungnahme des Sprechenden zur Aussage, sondern die Stellungnahme der durch das Subjekt des Satzes ausgedrückten Person (bzw. des Dings) zu dem Vorgang, der durch den Infinitiv ausgedrückt wird (s. § 162). Vom Standpunkt der Modalität des Satzes enthalten solche Sätze, wenn das Prädikat im Indikativ steht, einen Wunsch, eine Möglichkeit, eine Notwendigkeit usw., die vom Sprechenden als Tatsache hingestellt werden.
Wulf-Dieter wollte dem Großvater nacheilen, aber Inges Stimme hielt ihn zurück. (M. Zimmering)
Meine Überzeugung kann ich nicht verraten! (H. Mann)
Auch einige andere Verben und Wendungen können die Stellungnahme des Subjekts des Satzes ausdrücken: wünschen, brauchen, haben + zu + Infinitiv, imstande sein, Lust haben usw.
Er wünschte plötzlich zu schreiben. (Th. Mann)
Er braucht nicht lange zu warten (W. Bredel)
Jacques empfahl sich, er hatte zu arbeiten. (B. Kellermann)
Sie fühlte sich plötzlich frei und leicht, daß sie Lust hatte aufzuspringen. (B. Kellermann)
§ 226. Die Sätze, in denen etwas als wünschenswert, irreal, möglich (bzw. unmöglich) usw. bezeichnet wird, haben ein wichtiges Merkmal gemein: in jedem dieser Sätze handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondern um einen Wunsch, eine Möglichkeit, deren Verwirklichung entweder noch zu erwarten oder völlig ausgeschlossen ist. Sie unterscheiden sich aber voneinander durch ihre modale Schattierung.
Zum Ausdruck einer irrealen Möglichkeit, deren Verwirklichung oft nicht völlig ausgeschlossen ist, dienen das Präteritum Konjunktiv und der Konditionalis I (vgl. § 160).
Frau Beate lachte. Wie früher! rief sie aus. Ach wie herrlich wäre das! (B. Kellermann)
Mutter, er ist zeitlebens ein Nachtwächter gewesen. Ich würde nicht so reden, Junge. Ein unglücklicher Mensch ist er; man kann ihn nur bedauern. (W. Bredel)
Die Unmöglichkeit wird durch das Plusquamperfekt Konjunktiv und den Konditionalis II ausgedrückt (vgl. § 160).
Marcel hätte sich gerne an diesen Gesprächen beteiligt, doch er getraute sich nicht. (W. Bredel)
Hätte sie aufgesehen und nach Sali geblickt, so würde sie entdeckt haben, daß er weder vornehm noch stolz aussah... (G. Keller)
§ 227. Zum Ausdruck eines Wunsches gebraucht man den Optativen Konjunktiv: das Präsens Konjunktiv, wenn der Wunsch durchaus erfüllbar ist, das Präteritum Konjunktiv, wenn der Wunsch sich kaum erfüllen wird, und das Plusquamperfekt Konjunktiv, wenn der Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist (vgl. §§ 157 u. 159).
...Ich sei, gewährt mir die Bitte, | In eurem Bunde der dritte. (F. Schiller)
Er fühlte erneut, wie tief und wahrhaft er diese Frau liebte. Käme sie nur bald zurück, käme sie nur bald! dachte er. (B. Kellermann)
Oh, hätt ich nur nicht auf dich gehört! (J. R. Becher)
§ 228. Zum Ausdruck einer zweifelnden Annahme, einer Voraussetzung dienen:
1. die Modalverben in Verbindung mit dem Infinitiv II, seltener dem Infinitiv I (vgl. § 162) sowie das Verb scheinen mit dem Infinitiv I und II (vgl. § 180);
Ein Garten mußte dort gewesen sein; hier und da blühten noch Blumen... (E. M. Remarque)
Es muß sieben, acht Jahre her sein, seit wir uns zuletzt gesehen haben. (E. M. Remarque)
Jeder sah wohl, was der andere tat, aber keiner schien es zu sehen... (G. Keller)
Jetzt allerdings scheint er lange genug gewartet zu haben. (H. Fallada)
2. das Futur II und (seltener) das Futur I; oft tritt auch noch das Modalwort wohl hinzu.
Es wird ungefähr halb elf gewesen sein, als sie die Haustür aufgeschlossen hatten. (H. Fallada)
Vgl.:
Stürck starrte ihn aus übernatürlich großen Augen an. Er schüttelte den Kopf. Nein, du wirst dich irren! (W. Bredel) |
Штюрк уставился на Вальтера широко раскрытыми глазами. Он покачал головой. Нет, вероятно, ты ошибаешься. |
Clotilde wird sich in den vier Monaten alles gründlich überlegt haben. Zeit genug hatte sie dazu. (B. Kellermann) |
За эти четыре месяца Клотильда уже, несомненно, все обдумала. Времени у нее было более чем достаточно. |
§ 229. Die Modalwörter sind ein lexikalisches Mittel, die Modalität des Satzes auszudrücken. Die modale Schattierung, die .sie dem Satz verleihen, wird durch ihre Bedeutung bestimmt. (Vgl. § 196.)
Vielleicht könnte man das Haus vorläufig so lassen? fragte Studmann vorsichtig. (H. Fallada)
Hoffentlich bringt der Herr Admiral den Prinzen, meinen Verlobten, mit, damit hier alle vereint sind. (H. Mann)
Ein als möglich betrachteter Vorgang steht einem erwünschten Vorgang nahe, denn beide sind noch nicht zur Tatsache geworden. Man kann jedoch das Erwünschte nicht nur als etwas betrachten, was möglicherweise in Erfüllung gehen kann, sondern auch als etwas, was sich erfüllen soll und wird. Der erwünschte Vorgang, dessen Erfüllung nicht angezweifelt wird, wird in einem Aufforderungssatz zum Ausdruck gebracht. Kennzeichnend für diese Satzart ist der Imperativ. Dabei muß jedoch betont werden, daß in den Aufforderungssätzen nicht die ihnen eigene modale Schattierung entscheidend ist, sondern die im gesellschaftlichen Verkehr vor ihnen stehende Aufgabe, einen erwünschten Vorgang anzuregen.
Die Bejahenden und die verneinenden Sätze
§ 230. Alle Sätze kann man in zwei große Gruppen einteilen: 1) die bejahenden und 2) die verneinenden Sätze.
Ein bejahender Satz ist ein Satz, in dem das Vorhandensein eines Vorgangs oder eines Merkmals festgestellt wird. Für die Bejahung gibt es keine besonderen sprachlichen Ausdrucksmittel mit Ausnahme des Modalworts ja und mancher anderen Modalwörter (jawohl, gewiß, sicher, zweifellos u. a.).
Kommen Sie von draußen? Ja. Ich suche meine Eltern. (E. M. Remarque)
Jetzt wurde Mettenheimer zornig. Das können Sie alles die Elli selbst fragen....Schulz... sagte ruhig: Gewiß, das kann ich. (A. Seghers)
§ 231. Ein verneinender (negativer) Satz ist ein Satz, in dem die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Prädikat verneint wird.
Er blieb vor dem Hause stehen. Es war dunkel, und er konnte die Nummer nicht erkennen. (E. M. Remarque)
Fast niemand sprach während der Fahrt. (E. M. Remarque)
Nicht einmal Paul Gramer konnte sich der Wirkung Oskars entziehen. (L. Feuchtwanger)
Nicht immer wird ein Satz, der eine Negation enthält, dadurch zum negativen Satz. Wird im Satz nur irgendeines der Satzglieder verneint, so haben wir es mit einem bejahenden Satz zu tun. In der Regel enthält solch ein Satz eine Gegenüberstellung (meist durch die Konjunktion sondern eingeleitet) oder er legt sie nahe.
Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. (K. Marx/F. Engels)
Wer ist der Herr der Karawane? fragte der Reiter. Sie gehört nicht einem Herrn,... sondern es sind mehrere Keufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen... (W. Hauff)
Ein nie gefühltes Grausen überfiel da den Jüngling. (J. Eichendorff)
§ 232. Die Ausdrucksmittel der Verneinung. Das wesentlichste Mittel der Verneinung ist die Partikel nicht. Sie kann sich auf ein beliebiges Satzglied beziehen, das durch eine beliebige Wortart ausgedrückt wird.
Wenn sich die Partikel nicht auf das Prädikat bezieht, so wird der Gesamtinhalt des Satzes verneint (verneinender Satz). In diesem Fall steht nicht nach dem finiten Verb, aber immer vor dem infiniten Verb, dem Prädikativ bzw. dem trennbaren Teil des Verbs.
Der Zug bewegte sich immer noch nicht. (E. M. Remarque)
Die Nacht war klar und nicht kalt. (E. M. Remarque)
Der Zug fuhr nicht ab. (E. M. Remarque)
Sie haben unseren Garten noch nicht gesehen? sagte sie auf der Treppe zu ihm. (Th. Mann)
In bejahenden Sätzen steht die Partikel nicht unmittelbar vor dem Satzglied, welches verneint werden soll (Subjekt, Attribut, Objekt, Adverbialbestimmung).
Einmal... habe ich ein Eisenbahnunglück mitgemacht... Nicht jeder hat das erlebt, und darum will ich es zum besten geben. (Th. Mann)
Dieser saß auf einem schönen Sammetkissen am unteren Ende der Tafel neben der nicht schönen Gattin des Gymnasialdirektors... (Th. Mann)
Es gibt Kaffee, sagte der Unteroffizier... Nicht für uns, erwiderte der Gefreite. (E. M. Remarque)
Es ging nicht so schnell, wie Geschke es wünschte. (A. Seghers)
Als Mittel der Verneinung treten in verneinenden Sätzen oft die Negativpronomen kein, keiner, niemand, nichts und die Adverbien nie, niemals, nirgends auf:
Er war keiner von den Schlimmsten, nur mittelschlimm. (A. Seghers)
Niemand rührte sich im Abteil. (E. M. Remarque)
Frau Hohner sagte nichts. (L. Frank)
Sie hatte noch nie einen Schriftsteller... gesehen. (Th. Mann)
Du hast dich betragen, wie ich es niemals von dir erwartet hätte. (Th. Mann)
Das Pronomen kein steht nur attributiv, und zwar bei einem Substantiv, welches man im entsprechenden bejahenden Satz mit dem unbestimmten Artikel oder artikellos gebraucht.
Dann roch er plötzlich den Rauch. Er blieb stehen. Es war kein Schornsteinrauch; auch kein Holzfeuer; es war Brandgeruch. (E. M. Remarque)
Das Pronomen kein wird auch in bejahenden Sätzen gebraucht. Das ist der Fall, wenn der Satz eine Gegenüberstellung enthält.
Am Grenzübertritt stand kein Neger, sondern ein schmaler blonder Franzose. (A. Seghers)
Das Dorf war kein Dorf mehr, sondern ein großer Friedhof. (W. Bredel)
Außer den genannten Mitteln der Verneinung kann diese auch durch die Konjunktionen weder... noch, ohne... (zu) erfolgen.
Ihn fröstelte, er hatte weder Mantel, noch Decke, noch Strohsack. (W. Bredel)
Er schrieb weiter, ohne sich umzublicken. (B. Kellermann)
Zuweilen enthält ein Satz mit der verneinenden Partikel nicht keinerlei Verneinung. Nicht dient hier zum Ausdruck einer unsicheren Annahme, einer höflichen Anfrage, einer bescheidenen Äußerung usw.
Winfried dachte: Was sich die Leute nicht alles einbilden! (A. Zweig)
Mutter, ist da nicht noch etwas von dem Keks, den Erwin mitgebracht hat? Hol ihn doch heraus für Herrn Graeber. (E. M. Remarque)
§ 233. Der deutsche Satz unterscheidet sich im Gebrauch der Verneinung wesentlich von dem russischen. Der Hauptunterschied liegt darin, daß ein deutscher Satz nur eine Negation enthalten darf, während im Russischen mehr als eine Negation durchaus üblich ist. Vgl.:
Sie hatte noch nie einen Schriftsteller... gesehen. (Th. Mann) |
До сих пор ей ни разу не приходилось видеть писателя. |
Ich will niemand beleidigen... (Th. Mann) |
Я никого не хочу обидеть. |
Anmerkung. In der Umgangssprache sowie in manchen Mundarten kommt der Gebrauch einer doppelten Verneinung vor. Im Hochdeutschen ist sie unzulässig.
Meine Ruah will i haben. I bin nämlich der Xaver und kein Großkopfeter net. (J. R. Becher)
Und ich fragte einen jungen Menschen... nach dem großen Gepäck. Ja, mein Herr, das weiß niemand nicht, wie es da ausschaut! (Th. Mann)
In einigen deutschen Satzarten wird zum Unterschied von den entsprechenden russischen überhaupt keine Negation gebraucht:
1. in Sätzen mit den Adverbien fast oder beinahe und dem Prädikat im Plusquamperfekt Konjunktiv. Vgl.:
Beinahe wäre eine Scheibe zerbrochen, so heftig schlug der Wind die Balkontüre zu. (J. R. Becher) |
Ветер с такой силой хлопнул балконной дверью, что чуть не разбил стекло. |
2. in Temporalsätzen mit der Konjunktion bis. Vgl.:
Und wieder schritt er mechanisch weiter..., bis er vor seiner Wohnung stand (Th. Mann) |
И машинально побрел дальше.., пока не оказался у своего дома. |
Zum Unterschied vom Russischen werden im Deutschen als Antwort auf eine Frage, die eine Verneinung enthält, zwei verschiedene Modalwörter gebraucht: doch, wenn die Antwort bejaht, nein, wenn sie verneint. Im Russischen gebraucht man in beiden Fällen die Negation нет. Vgl.:
Geschwister hast du nicht? Doch, drei Brüder. (W. Bredel) |
Ты одна у матери с отцом? Нет, у меня три брата. |
Und Sie waren nicht glücklich, diese dreißig Jahre? Herr Friedemann schüttelte den Kopf, und seine Lippen bebten. Nein, sagte er; das war Lüge und Einbildung. (Th. Mann) |
И все эти тридцать лет Вы не были счастливы? Господин Фридеман покачал головой, губы у него дрожали. Нет, сказал он. Все это было ложью, фантазией. |
Selbständige Sätze. Sätze als Bestandteil eines zusammengesetzten Satzes
§ 234. Vorn Standpunkt der Stellung eines Satzes in der gesamten Sprechsituation unterscheidet man: 1) selbständige (einfache) Sätze, 2) Sätze als Bestandteil eines zusammengesetzten Satzes (Satzverbindung oder Satzgefüge).
Die grammatische Selbständigkeit eines Satzes bedeutet jedoch keineswegs, daß der Satz von den anderen Sätzen innerhalb der gesamten Sprechsituation völlig unabhängig ist. Inhaltlich sind die selbständigen Sätze stets miteinander verbunden. Doch nicht nur inhaltlich. Ein selbständiger Satz enthält oft Wörter und grammatische Formen, deren Gebrauch von dem Inhalt eines anderen, meist unmittelbar vorausgehenden Satzes bedingt wird. Das gilt für Pronomen, Pronominaladverbien, Adverbien mit hinweisender Bedeutung, Ordinalzahlen, Konjunktionen, für den Gebrauch der Zeitformen usw.
Graeber ging die Bramschestraße entlang. Er sah auf die Häuser. Sie waren heil. Er sah die Fenster. Sie waren alle dunkel. (E. M. Remarque)
Das Dorf war nicht mehr zu sehen. Es war hinter einer Schneewehe verschwunden. (E. M. Remarque)
Der Laden war offen. Zwei Frauen standen darin und handelten mit der Verkäuferin um einen Kranz. (E. M. Remarque)
In den Büschen huschte es. Eine Katze jagte dort Ratten. (E. M. Remarque)
Sie setzte sich an den Flügel, schlug den Deckel hoch. Aber sie spielte nicht. (L. Feuchtwanger)
Ein einfacher Satz tritt oft als Bestandteil eines größeren, komplizierteren Ganzen, eines zusammengesetzten Satzes auf. Aus zwei und mehr Sätzen bestehend, stellt ein zusammengesetzter Satz dennoch eine sprachliche Einheit dar, deren Bestandteile miteinander enger verknüpft sind, als es bei einzelnen selbständigen Sätzen der Fall ist. Dies kommt vor allem in dem Satzton zum Ausdruck, der die einzelnen Bestandteile zu einem Satzganzen zusammenfaßt. Ein zusammengesetzter Satz wird nach seinen eigenen grammatischen Regeln aufgebaut. Sie bestimmen den Gebrauch und die Stellung der Konjunktionen, die Wahl des Modus, die Wortfolge im Satz usw. Die zusammengesetzten Sätze gliedern sich in zwei große Gruppen: 1) die Satzverbindung und 2) das Satzgefüge. (Näheres über jede dieser Satzarten siehe in den entsprechenden Kapiteln der Syntax.)
Nicht immer läßt sich eine scharfe Grenze ziehen zwischen einer Reihe einzelner selbständiger Sätze und einem zusammengesetzten Satz, namentlich einer Satzverbindung. Vgl. den Gebrauch der Konjunktion aber in einem selbständigen Satz und in einer Satzverbindung:
Sie setzte sich an den Flügel, schlug den Deckel hoch. Aber sie spielte nicht. Immer war sie geteilten Gefühles vor diesem Flügel gesessen. Sie wird ihn hier lassen. Sie scheidet nicht im bösen von Oskar, aber, den Flügel läßt sie hier. (L. Feuchtwanger)
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