Kapitel IX. Die Anrede
§ 310. Die Anrede ist ein Wort (bzw. eine Wortgruppe) im Nominativ, das die angeredete Person bzw. das Ding nennt. Die Anrede ist mit den Satzgliedern grammatisch nicht verbunden. Sie kommt meist im Gespräch vor sowie in Ansprachen, Losungen, Aufrufen, Bekanntmachungen, Briefen usw. und hat die Aufgabe, die angeredete Person ins Gespräch zu ziehen, sie auf eine Äußerung aufmerksam zu machen. Die Anrede bezeichnet:
1. Personen. Dazu dienen Personennamen, Verwandtschafts-, Alters-, Berufs- und andere Bezeichnungen;
Was ist also mit dem Auto, Achim? Mit dem Auto ist alles in Ordnung, Eva, erklärte der Rittmeister. (H. Fallada)
Hast du gehört, Vater? rief er aus... (B. Kellermann)
Nun, Kinder, sagt, was ihr auf dem Herzen habt. (W. Bredel)
Antworten Sie nur, wenn Sie gefragt werden, Kellner, sage ich nachlässig zu ihm. (E. M. Remarque)
Anmerkung. Die Wörter Mensch und Mann verlieren oft, als Anrede (mit familiärem Beiklang) gebraucht, ihren semantischen Inhalt.
Warum bist du hier? Miesicke überlegt lange. Ich weiß es beim besten Willen nicht! Na, Mensch, brauchst dich nicht zu genieren! (W. Bredel)
Meier, Mensch, das vergeß ich dir nicht! (H. Fallada)
Mann, sage ich zu Watzek. Wenn Sie wüßten, wonach mir der Kopf steht... (E. M. Remarque)
2. andere Lebewesen. Dazu dienen Benennungen von Tieren und Tiernamen;
Pack an! ruft Hopp seinem Hunde heiser zu: Pack an! Und: Herein, zu mir! Herein, Krambambuli! lockt es drüben mit zärtlicher, liebevoller ach mit altbekannter Stimme... (M. v. Ebner-Eschenbach)
3. unbelebte Dinge. Solche Anreden kommen in der schöngeistigen Literatur vor. Wir haben es dann mit einer Personifizierung zu tun.
Tritt, o Mond, aus deinen Wolken! erscheinet, Sterne der Nacht! (J. W. Goethe)
Mit einem Gefühle, worin gar komisch Ehrfurcht und Rührung gemischt waren, betrachtete ich die neugebornen blanken Taler, nahm einen... in die Hand und sprach zu ihm: junger Taler, welche Schicksale erwarten dich. (H. Heine)
Als Anrede treten meist Substantive auf (Beispiele siehe oben); oft sind es auch substantivierte Adjektive im Positiv oder Superlativ und substantivierte Partizipien.
Ganz richtig, Alter! ruft einer dazwischen... (W. Bredel)
Aber urteilen Sie selbst, Verehrtester, fuhr die Baronin fort... (B. Kellermann)
Überlassen Sie es gefälligst uns, wen wir verhaften sollen oder nicht, Angeklagte! (B. Kellermann)
Eine Anrede wird oft in aufforderndem, zuweilen bittendem, warnendem, befehlendem usw. Ton gesprochen.
Edgar! sagte Doktor Mantelsack, schloß sein Notizbuch... und setzte sich aufs Katheder... (Th. Mann)
Da die Leute ihn nur ansahen, schrie er: Maschinenmeister! (H. Mann)
Herr Meier! warnt ihn Pagel. Machen Sie keine Dummheiten! (H. Fallada)
Ein Wort, das als Anrede auftritt, kann durch nähere Bestimmungen (Attribute, Apposition) erweitert werden.
Mein lieber Fritz, schrieb die Tante Amalie, wo mag Dich wohl dieser Brief erreichen? (A. Seghers)
Rainer, lieber, guter, so sei doch gescheit! (J. R. Becher).
Wo haben Sie denn Ihren Wagen stehen lassen, Herr Meier? fragte er. (H. Fallada)
Die Anrede wird dem Satz vor- oder nachgestellt, sie kann auch in den Satz eingeschoben werden.
Du, Papa, man sieht ja heute überhaupt keine Uniformen, rief Violet. (H. Fallada)
Ich bitte, dich, Mama, rege dich nicht von neuem auf! bat Christa. (B. Kellermann)
Wissen Sie, wo Ihr Mann ist, Frau Papke? (W. Bredel)
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